WER SEIN ZIEL KENNT, FINDET AUCH DEN WEG
ERP-Wechsel – Herausforderungen, Risiken, Lösungen
Wenn der Fokus der digitalen Transformation oder Prozessoptimierung in einem mittelständischen Unternehmen auf das Umsatzwachstum gerichtet ist, ist das mutige Hinterfragen bestehender Systeme oftmals die Voraussetzung für eine erfolgreiche und nachhaltige Skalierung. Zunehmend häufig wird hierbei das seit vielen Jahren eingesetzte ERP-System in Frage gestellt. Vor allem kleinere und mittlere, bodenständige KMUs sehen sich häufig einer Herausforderung gegenüber, die eine klare Bekenntnis zur Veränderung seitens der Geschäftsführung erfordert. Es bedarf häufig einer tiefgreifenden Zäsur, um die Einführung eines neuen ERP-Systems erfolgreich durchführen zu können.
Die Ausgangsposition ist nicht selten dieselbe: Das alte System besteht aus mannigfaltigen Satelliten, die über Jahre von zahlreichen Entwicklern unternehmensintern entwickelt wurden. Es sind Software- und Funktions-Satelliten sowie Daten-Silos, die jahrelang zahlreiche Anforderungen an Prozesse und die Datenverarbeitung erfüllten. Die Dokumentation dieser Entwicklung ist oft spärlich oder gar nicht vorhanden. Die Abhängigkeit der Unternehmen von der IT- und/oder Entwicklerabteilung stieg Jahr für Jahr parallel zur zunehmenden Komplexität und Instabilität der Systeme. Ganz gleich, ob es sich um einfache Updates oder komplexe Upgrades handelt, der Aufwand für die Optimierung des alten Systems wächst Jahr für Jahr. Nicht selten kommt es vor, dass Unternehmen zu langsam oder gar nicht auf die Veränderungen der Märkte reagieren und von den Wettbewerbern überholt werden. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Viele Optionen bleiben den Unternehmen nicht. Eine davon ist die Einführung eines neuen, modernen und skalierbaren ERP-Systems. Die meisten Unternehmen werden sich im ersten Schritt die Fragen stellen, welches System es werden soll, wie hoch die Kosten der ERP-Einführung sein werden und wie lange diese dauern wird.
Die Insolvenz der Klingel Gruppe hat es deutlich gemacht: Ein ERP-Wechsel kann auf dem Weg zum Wachstum nicht nur helfen, sondern sogar zwingend notwendig sein. Ein ERP-Wechsel kann in seltenen Fällen aber auch zu einem Zusammenbruch führen. Die Gründe sind meistens dieselben:
Unzureichende – vor allem prozessuale – Fachkompetenzen in den Fachabteilungen des Auftraggebers
Häufig sind viele der Führungskräfte, die meist zu den Key-Usern eines Projektes ernannt werden, seit vielen Jahren in einem Unternehmen beschäftigt. Der Vorteil hierbei ist das Wissen über das Unternehmen. Der Nachteil hingegen ist die fehlende Flexibilität bei der Abwandlung oder dem Hinterfragen bestehender Prozesse. Der Satz „Das haben wir schon immer so gemacht“ wird hierbei genauso intuitiv geäußert wie „Alles schon dagewesen, jedoch nicht funktioniert“. Im schlimmsten Fall müssen Sie damit rechnen, dass das Projekt torpediert wird.
Doch was ist hierbei die Lösung?
Am Anfang einer jeden ERP-Einführung steht ein Change-Management-Prozess. Denn Sie als Unternehmer erwarten Ergebnisse: höhere Effizienz, Kosteneinsparungen, steigende Prozessgeschwindigkeit, eine sinkende Fehlerquote, wachsende Kundenzufriedenheit und mehr Transparenz. Dieser gewünschte Wandel geschieht jedoch nicht durch die Implementierung eines IT-Systems allein. Ihr neues ERP liefert zwar das technische Potenzial für diese Verbesserungen, aber es sind Ihre Mitarbeiter, die die Optimierungen im Arbeitsalltag umsetzen müssen. Planen Sie deshalb ein, dass es Ängste, Skepsis und Widerstände gegen das neue System geben wird. Es hat sich in der Praxis daher bewährt, neben dem Leiter einer ERP-Einführung auch einen Change-Manager – egal ob extern oder intern – zu involvieren.
Falls die Key-User – die Führungskräfte – nicht über ausreichende Fachkompetenzen verfügen, empfehle ich Ihnen, über Interimslösungen nachzudenken. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Logistik, Einkauf und häufig auch den Vertrieb – egal ob digital oder klassisch. Denn es kostet Sie am Ende weniger Geld als Mitarbeiter, die nicht in Prozessen denken und häufig aus fehlender Erfahrung heraus im neuen ERP das sehen wollen, was sie bereits aus dem alten System kennen. Wird die Position eines Key-Users mit einem falschen oder unerfahrenen Mitarbeiter besetzt, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit höhere Kosten für die individuellen ERP-Anpassungen tragen müssen als ursprünglich angenommen und geplant.
Fehlende oder zu geringe Entlastung der Key-User im Tagesgeschäft durch den Auftraggeber
Die ERP-Einführung ist ein Mammutprojekt, wer es unterschätzt, wird schnell eines Besseren belehrt! Sie erfordert nicht nur eine exzellente Zeit- und Finanzplanung, kompetente Key-User und eine erfahrene sowie zukunftsorientierte IT-Leitung. Insbesondere die Key-User werden – je nach Größe des Unternehmens – in diversen Phasen der Einführung an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht. Nicht selten kalkulieren die Implementierungspartner mit dem zeitlichen Faktor von 1,5 bis sogar 2,4 je Key-User. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter täglich das 1,5- bis 2,4-fache seiner Zeit für das Tagesgeschäft und parallel für das Projekt aufbringen muss. Bei einem Faktor von 1,5 bedeutet das eine 60-Stunden- und bei einem Faktor von 2,4 eine 96-Stunden-Woche. Die Geschäftsführung spielt hierbei daher eine besondere und entscheidende Rolle: Entlastung der Key-User aus dem Tagesgeschäft während der ERP-Einführung. Denn eine professionelle Einführung eines ERP kann zwischen 1,3 und 2,5 Jahren dauern. Die Folgerechnung in Bezug auf den Aufwand je Key-User ist einfach; in solchen Konstellationen folgt vorprogrammierte Überforderung, zunehmend häufige Ausfälle oder gar eine Ablehnung.
Die Entlastung der Key-User aus dem Tagesgeschäft, darunter eine professionelle Umlagerung der Aufgaben, ist daher nicht nur notwendig, sondern zwingend.
Unzutreffende oder laufend aktualisierte Schätzung der Projektdauer
Bei der Suche nach einem geeigneten System und einem geeigneten Implementierungspartner werden Sie mit ziemlicher Sicherheit mit diversen überzeugenden Präsentationen des Vertriebs konfrontiert. Ihnen wird ein Eindruck von bewährten Abläufen und Methoden vermittelt. Tatsache ist, dass zum Zeitpunkt der ersten Angebotsabgabe Ihr Implementierungspartner entweder keine oder nur rudimentäre Kenntnisse Ihrer Unternehmensprozesse hat. Denn diese werden erst in der sogenannten Analyse- und Designphase ermittelt und schließen spätere Ergänzungen und/oder neue Erkenntnisse nicht aus – teilweise auch entscheidende.
Wenn Ihr Unternehmen daher bisher keine Prozesse dokumentiert hat, ist es der erste und zwingende Schritt vor der Beauftragung einer ERP-Einführung. Reichen die internen Kapazitäten für diese Aufgabe nicht aus, kann die Prozesserfassung – zum Beispiel in einem BPMN-Framework – durch externe Partner erfolgen. Wichtig hierbei ist, dass die Dokumentation digital in einem Tool erfolgt, welches Sie intern verwenden oder künftig verwenden wollen.
Sobald die Prozesse erfasst und an den möglichen Implementierungspartner mit den Anforderungen an das künftige System übergeben wurden, hat dieser eine solide Grundlage für eine Schätzung des gesamten Aufwandes.
Doch selbst wenn die Prozesse erfasst sind, eine professionelle Liste mit den Anforderungen an das künftige System vorliegt und der Implementierungspartner Ihnen einen Zeitplan bis zum Go-Live vorgelegt hat, empfehle ich Ihnen, diesen mit einem Faktor von 0,5 bis 2,3 zu kalkulieren. Legt Ihnen Ihr Partner einen Zeitplan vor, aus dem hervorgeht, dass der Go-Live innerhalb von 18 Monaten erfolgen kann, werden es höchstwahrscheinlich 27 oder sogar mehr Monate sein. Wichtig hierbei ist, dass bei einer Zusammenarbeit auf Basis fixer Tageshonorare diese nach Überschreitung vereinbarter Termine spürbar gemindert werden.
Fakt ist: Ohne einen möglichst präzisen Zeitplan, aufgeteilt in die typische Analyse-, Design-, Implementierungs- und Testphase, gibt es keine Planungssicherheit. Sie sind immer auf der sicheren Seite, wenn Sie mit einem ausreichenden Zeitpuffer kalkulieren.
Unzutreffende Kalkulation des gesamten finanziellen Aufwandes
Die Kosten einer ERP-Einführung im Vorfeld einer umfangreichen Analyse zu beziffern, ist faktisch nicht möglich. Sie werden den Anbieter verständlicherweise womöglich dennoch um die Abgabe eines Betrags bitten. Jedes professionelle Unternehmen aus der ERP-Implementierung wird Ihnen jedoch hoffentlich deutlich machen, dass die erste Angebotskalkulation von den tatsächlichen Kosten, die im Laufe des Projekts entstehen, deutlich abweichen kann. Eine Abweichung von 50 % ist hierbei keine Seltenheit.
Je detaillierter und präziser die Analyse aller Prozesse und der Daten im Vorfeld der ERP-Einführung ist, desto zielgerichteter können die ERP-Anbieter auf Ihr Anforderungsprofil eingehen. Das wirkt kostensenkend, doch unerwartete Zusatzkosten gänzlich auszuschließen, ist schlicht nicht realistisch.
Sie werden im Laufe des ERP-Projekts zwangsläufig vielen Prozessen und Herausforderungen begegnen, die zu einem Mehraufwand führen werden.
Plötzlich stellt sich beispielsweise heraus, dass die Steuerung der Verkaufspreise im Standard eines ERP-Systems nicht der entspricht, die Ihr Unternehmen benötigt. Unerwartet stellt Ihr Lagerleiter fest, dass die bisherige Kommissionierung nicht im Standard des neuen ERP abgebildet werden kann.
Ähnliche oder andere Herausforderungen kommen mit Sicherheit vor. Neben der Motivation der Mitarbeiter spielen hierbei vor allem die Resilienz und Lösungskompetenz eine entscheidende Rolle. Nicht selten werden Sie zwischen der Übernahme eines Standards im neuen ERP und einer individuellen Anpassung/Programmierung entscheiden müssen. Letzteres kostet nicht nur Geld, sondern ist häufig schlicht nicht notwendig. Denn der Satz „Das haben wir schon immer so gemacht“ wird Sie im Laufe des Projekts häufiger begleiten.
Meine Empfehlung lautet daher: Wenn Ihre Prozesse im Standard des ERP-Systems abgebildet werden können, orientieren Sie sich ausschließlich am Standard des ERP. Abweichungen, respektive individuelle Anpassungen lassen sich zwar nicht gänzlich vermeiden, sollten jedoch auf ein notwendiges Minimum reduziert werden.
Sie planen einen ERP-Wechsel?
Gerne stehe ich Ihnen bei eventuellen Fragen mit Praxiserfahrungen zur Verfügung.
Senden Sie einfach eine Nachricht an arthur.hentges(at)web.de.